Heute haben wir einen Teil unserer Weintrauben versaftet, Zeit für eine kleine Geschichte über einen bemerkenswerten Weinstock:
Das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, liegt im Odenwald in einem Seitental vom Seitental vom klimatisch milderen Maintal.
Bis zur "kleinen Eiszeit" im vorvorletzten Jahrhundert wurde hier auch Wein angebaut.
Der Wein war auch vorher von der Qualität her nicht mit gutem Main-Frankenwein zu vergleichen.
Bei schlechterem Klima war er aber auch für die armen Bauern des Odenwalds nicht mehr genießbar.
Noch heute ist der Südhang des Tals mit aufgelassenen Weinterrassen gestuft.
In meiner Kinderzeit war das ein einziger riesiger Spielplatz mit unzähligen wilden Tieren und Pflanzen.
(Bzw. ist es heute noch, nur noch mehr zugewachsen).
Nach dem Wein wurden die Terrassen mit Streuobst bepflanzt.
Aber auch die meisten Obstgrundstücke waren zu meiner Zeit schon wieder verwildert und mit Schlehen zugewuchert.
Im Bio-Leistungskurs habe ich über die Botanik dieser Hänge meine Abschlussarbeit geschrieben.
Verwilderte Weinstöcke wachsen immer noch hier, wobei man zwei Sorten unterscheiden kann:
Die einen kriechen am Boden lang, die anderen wachsen lieber in die Bäume hinauf.
Meine Eltern haben in dem Dorf eine alte Fachwerkscheune gekauft und zum Wohnhaus umgebaut.
Die Scheune war überwuchert von einem alten Weinstock.
Da das Fachwerk komplett freigelegt werden mußte und einige Balken ausgetauscht wurden, mußte der Weinstock leider entfernt werden.
Dem Durchmesser nach, war der Wein nicht viel jünger, als die denkmalgeschützte Scheune.
Umso größer die Freude, als der Wein ca. drei Jahre nach dem Umbau wieder austrieb, obowhl vor der Hauswand ein halber Meter Mutterboden aufgeschüttet worden war.
Innerhalb weniger Jahre hatte er wieder die ganze Fassade bedeckte.
Vor 13 Jahren haben meine Eltern in dem Dorf alles verkauft und sind 300 km weg gezogen.
Vorher haben sie einen Ableger von dem Wein gezogen und mir geschenkt.
Wir waren gerade neu an unseren jetzigen Standort gezogen.
Die ersten Jahre waren wir sehr enttäuscht von dem Wein, weil er zwar alles zuwucherte, aber wenig Früchte brachte und die waren von eher--naja--bescheidener Qualität.
Mein Mann ärgerte sich, daß wir nicht einen "richtigen Wein" gekauft hatten, eine moderne Sorte mit wenig Kernen und gutem Geschmack.
Das ist aber schon lange Jahre her.
Mit jedem Jahr wurde die Zahl und Qualität der Früchte besser.
Die letzten Jahre hat er nicht nur das Gerüst überwuchert, daß wir mit ca. 1 M Abstand zur Hauswand gebaut hatten, sondern ist zur Nachbarin über deren ganzen Balkon gewachsen.
Inzwischen ist er am anderen Ende des Hauses angekommen und klettert vom Balkon die Katzentreppe nach unten.
Von dort aus nimmt er als nächstes Projekt die angrenzende Garange ins Visir.
D.h. er wächst auf einer Länge von ca. 12-15m entlang der Hauswand.
Auf dem Bild sieht man den Bereich am Gerüst und kann ahnen, wo er links nach oben klettert.
Der Wein war in seinem Leben noch keinen Tag krank. Während unsere Bekannten mit "richtigen Weinpflanzen" jammern, daß ihre Früchte von Wespen, Pilzen oder Vögeln dezimiert werden, bleiben uns alle Früchte, die inzwischen von hervorragendem Geschmack sind.
Seine blaue Schale ist schlicht zu dick und zu ledrig um für Schädlinge aller Art atraktiv zu sein.
Offensichtlich braucht der Stock ein paar Jahre, bis er Kraft in die Früchte stecken kann.
Jedes Jahr im Frühjahr schneidet mein LG ihn stark zurück.
Im Sommer schneide ich noch einige Triebe zurück, die meinen Gemüse-Garten zuwuchern wollen.
Dieses Jahr übertrifft er sich in Masse und Qualität selbst, was bei dem September ja kein Wunder ist.
Obowhl die Nachbarin vom Balkon aus kräftig ernten hilft, haben wir keine Chance, die Früchte einfach so weg zu essen.
Vor ein paar Jahren haben wir schon mal einen Versuch gestartet mit elektrischem Entsafter.
Das Ergebnis war schrecklich, weil der Entsafter die Kernchen zerschlagen und deren Gerbsäure freigesetzt hat. Uarrrrgggg....sehr gesund, so Traubenkerne...wir haben natürlich auch da nichts verkommen lassen und lieber in Kauf genommen, daß uns noch drei Tage später übel war.
Dieses Jahr sind wir das Projekt Trauben Entsaften in guter Handarbeit neu angegangen.
Zuerst also Ernte mit der großen Bauleiter. Am Hang nach unten zum Gemüsebeet wird diese mit dem unteren Quer-Holm noch auf die kleine Haushaltsleiter gestellt, die die Hangneigung ausgleicht.
Diesen Vorgang konnte ich leider nicht fotografieren, ich hatte den verantwortungsvollen Job, die Leiter zu halten.
In der Großen Schüssel werden die abgezupften Trauben mit einem Edelstahl-Kartoffelstampfer zerkleinert und diese Masse dann durch ein Sieb gestrichen.
Wir hatten uns Big-Bags gekauft, wo man in 5 l-Beuteln den Saft durch einen Zapfhahn entnehmen kann. Das sei weniger Arbeit beim Abfüllen, wurde uns in der Kelterei des Gartenbauvereins versichert.
Das Problem war nur, daß durch das grobe Sieb einige Kernchen durchgerutscht sind.
Wenn man ein feines Sieb verwendet, dann ist dieses sofort verstopft mit dem Traubenfruchtfleisch, das wir auch nicht komplett absieben wollten.
So wurde der Saft noch mehrmals durch gröbere und immer feinere Siebe gestrichen.
Das war der nervigste Teil der Arbeit.
Zum Glück kann man bei dem herrlichen Wetter die Dreckarbeit auf der Terrasse machen.
Da wir trotzdem noch Sorge hatten, daß letzte Kerne oder Fruchtfleischreste den Zapfhahn vom 5-Liter Beutel verstopfen würden, haben wir umdisponiert und Pfand-Liter-Saftflaschen sterilisiert.
Der Traubensaft muß auf 80°C erhitzt und dann sofort abgefüllt werden.
Der Weinstock hat die witzige Angewohnheit, immer vom Stock-abgelegensten Ende her zu reifen.
D.h. man fängt auf der einen Seite zu ernten an und schafft sich dann über drei Wochen ans andere Ende. Heute haben wir etwa 4 m vom Balkonabschnitt geerntet.
Der Rest vor dem Gemüsebeet hat noch viele hellrote Früchte.
Mehr hätten wir vom Arbeitsaufwand her aber auch nicht geschafft.
Die Aktion hat ca. von 14-19 Uhr gedauert mit einer Kürbis-Mahlzeit zur Stärkung dazwischen.
Ach...ihr wollt wissen, wieviel Liter das ergeben hat?
4,5 Liter...und ihr könnt glauben, daß wir den mit Verstand und Ehrfurcht trinken werden.
So lebt also ein Stück Kindheits-Heimat, das es ja in der Form nicht mehr gibt, weil meine Eltern dort weg gezogen sind, in diesem Weinstock fort.
Und der hat vermutlich schon Jahrhunderte auf dem Buckel.
Da investiere ich gerne einen Nachmittag Arbeit an diesem herrlichen 1. Oktober, damit auch nichts verkommt von den guten Früchten.